
Keidtel, Matthias - Falsche Verwandte - Gebunden - Reclam, Philipp, jun. Verlag GmbH
Die Verwandlung des Bürgers Bösendorfer vom Untertan zum Rebell. Eine brillante Kafkaeske. Der Historiker Bösendorfer trifft in seiner Wohnung beim morgendlichen Gang zur Toilette plötzlich auf eine Wand. Unnachgiebig steht sie seinen körperlichen Bedürfnissen im Wege. Alle Versuche, den Fall, wie er es aus seinem Beruf gewohnt ist, mit Hilfe theoretischer Modelle zu ignorieren, scheitern. Ist Bösendorfer, der sich für die Reinkarnation großer historischer Strategen hält, noch Herr der Situation? Der „Fall“ reduziert sich indessen nicht auf die Wand im Flur: Die halbe Wohnung ist von einem fremden Staat besetzt, dessen Ordnungshüter Bösendorfer jeden weiteren Zutritt mit Waffengewalt verweigern. Ist Krieg und die Neuaufteilung der Welt beschlossene Sache? Träumt er von einem weit in der Geschichte zurückliegenden Ereignis? Als zudem Bösendorfers verstorbene Mutter in einer Fernsehsendung auftaucht und er sich erneut mit ihren autoritären Ansprüchen konfrontiert sieht, wähnt er sich der totalen Blockade ausgeliefert: So muss sich Generalfeldmarschall Paulus im eingekesselten Stalingrad gefühlt haben. „Mein Stalingrad ist meine Wohnung“, entscheidet Börsendorfer – und die Schlacht kann beginnen … Mokant, maliziös, obsessiv. Mit faszinierender Sprachgewalt erschafft Keidtel eine morbide Welt, in der Wahnwitz erste Bürgerpflicht und Anarchismus eine Frage der Ehre ist. Ein feines Netz skurriler Beobachtungen – ein Drehbuch für David Lynch, ein Bildentwurf für M. C. Escher.